Blut gegen Blut: Leseprobe zum Muttertag ♥

Blut gegen Blut - Leseprobe zum Muttertag

Mein Roman Blut gegen Blut erzählt die Geschichte einer jungen Frau, die ihre Mutter vor Vampiren und Werwölfen beschützen will. Was wäre also passender als eine Leseprobe in der Mutter und Tochter auftreten?

Hier für euch das komplette 2. Kapitel aus Blut gegen Blut:

Sofort umhüllte sie ein Gefühl der Taubheit. Fast schon neben sich stehend schaute sie in die Küche und dann durch den breiten Türbogen in den angrenzenden Raum.
Zu hören war nichts. Sie legte ihren Rucksack ab, zog die Schuhe aus und genoss die Kälte an ihren Fußsohlen.
Als sie sich umdrehte und einen Schritt auf den Küchentisch zuging, roch sie die Suppe und entdeckte auf dem Herd den großen Topf. Ob sie nicht vielleicht doch lieber hungrig ins Bett gehen sollte?
„Da bist du ja!“
Katrina sah wieder in Richtung Türbogen, in dem plötzlich ihre Mutter stand. Sie sah müde aus, hatte ihre langen, ungewaschenen Haare zusammengebunden und trug dieselbe Kleidung wie in den letzten Tagen. In der Hand hielt sie ein Glas Wasser. Katrina hoffte zumindest, dass es Wasser war.
„Ich musste länger arbeiten“, sagte Katrina und musterte die Bewegungen ihrer Mutter, die in Richtung Herd ging.
„Gut. Setz dich, ich habe uns Suppe gekocht.“
Sie scheint klar im Kopf zu sein, dachte Katrina erleichtert und nahm am Küchentisch Platz, wo schon ein Löffel für sie bereitlag.
Zittrig stellte ihre Mutter einen vollen Suppenteller vor Katrina, die mit einem innerlichen Seufzer den Löffel nahm und darin herumrührte.
Ihre Mutter setzte sich mit Teller und Glas Katrina gegenüber an den Tisch. Unter dem Licht der Küchenlampe traten ihre Augenringe und die Falten noch deutlicher hervor, sodass Katrina den Blick schnell wieder auf die Suppe richtete, bis vor ihrem Teller eine Hand erschien. Katrina ergriff sie und schloss die Augen.
„Allvater, der du bist in der Anderswelt“, begann ihre Mutter. „Behüte uns Menschen, gib uns Speis und Trank und die Kraft, gegen die dunklen Mächte zu bestehen.“
Katrina sprach weiter.
„Denn unser Blut ist rein. Denn unser Blut ist dein. Mögest du uns zu dir holen, bevor ein Geschöpf Yzatas unsren Leib vergiften kann!“
Kurz schwiegen beide. Das war der Teil des Gebets, bei dem man stumm einen eigenen Wunsch an den Allvater richten konnte. Katrina jedoch öffnete vorzeitig die Augen und blickte erst auf den leeren Stuhl ihres Vaters rechts und dann auf den leeren Stuhl ihrer Oma links neben sich. Machte es Sinn, den gleichen Wunsch immer und immer wieder zu äußern?
„So ist es nämlich“, sagten beide nacheinander. Dann lösten sich ihre Hände und sie begannen zu essen.
Katrina hasste diese Momente. Dieses Schweigen, aus dem sie selbst nicht ausbrechen konnte.
Sie tauchte ihren Löffel in die Suppe, beobachtete die kleinen Kräuterstücke und Fettaugen, die sich in ihm sammelten, und führte ihn zum Mund.
Den Blick hielt sie dabei gesenkt. Sie wusste, wie leicht es war, aus den Augen anderer lesen zu können.
Auch ihre Mutter richtete den Blick auf den Teller und trank ab und zu aus ihrem Glas.
„Wie war die Arbeit?“, fragte sie plötzlich.
„Gut. Anstrengend“, antwortete Katrina und schob sich einen weiteren Löffel Suppe in den Mund.
Wenn sie sich unterhielten, kamen ihre Gespräche schon lange nicht mehr über dieses Alltägliche hinaus. Knappe Fragen, ebenso knappe Antworten.
Der Geschmack der Suppe war ihr zuwider, aber wenn sie schnell schluckte, konnte sie ihn ertragen. Sonst gab es immer Brot dazu, was gut sättigte, aber dazu musste man vorher welches kaufen. Katrina selbst war zu stur, um auf ihrem Heimweg Brot zu besorgen. Sie verdiente das Geld und ging arbeiten, während ihre Mutter den ganzen Tag zu Hause war und … irgendetwas machte. Sie wollte darüber nie wirklich nachdenken.
Kurz darauf löffelte sie den letzten Rest Suppe aus und brachte den Teller zur Spüle.
„Es ist noch welche da, wenn du willst“, meinte ihre Mutter.
„Nein, danke“, erwiderte Katrina, wusch den Teller unter dem Wasserhahn ab und stellte ihn neben den Herd.
„Gute Nacht“, sagte sie und ging die Treppe nach oben in ihr Zimmer, wo sie sich umzog, die Deckenlampe ausmachte und sich ins Bett legte, um die Zimmerdecke anzustarren. Durch die beiden Fenster drangen schwache Mondstrahlen, die ihr Zimmer in einen düsterblauen Schleier tauchten.
Auch diesen Moment hasste sie. Sie atmete tief ein und wieder aus. Den Druck in sich spürte sie im Liegen noch deutlicher. Warum konnte sie ihn nicht aus ihrer Brust seufzen oder weinen? Sie hatte schon lange nicht mehr geweint. Nachdem ihr Vater verschwunden und ihre Oma gestorben war, hatte sie oft die ganze Nacht durch geweint. Aber dann, irgendwann, waren keine Tränen mehr gekommen. Stattdessen sammelte sich scheinbar alles hinter ihren Rippen, bis sie irgendwann vor Trauer platzen würde.
Nebenan hörte man das Schnattern der Eek, der mannshohen Vögel auf zwei Beinen, deren Flügel zu klein waren, um damit in die Luft zu steigen. Ihre Schnäbel waren dafür umso größer. Zusammen mit einigen Schweinen und dem Marsal Erwin, einem Tier, das einem Pferd gleichkam, jedoch größer und hübscher war, teilten sie sich den Stall. Heute hatte Katrina zum Glück keine Arbeit mehr darin zu verrichten, so wie gestern, als sie bis Mitternacht in der Scheune gestanden hatte. Jetzt war ihr Körper dementsprechend müde, aber ihr Kopf voller Bilder. Bilder von heute, von gestern und wie es vielleicht morgen aussehen könnte.
Ihr Blick fiel auf die kupferne Dose, die auf dem kleinen Schreibtisch neben der Tür stand und im schwachen Mondlicht nur schwer zu erkennen war. Ihr Vater hatte sie ihr geschenkt, als sie noch klein war. So klein, dass sie sich an den Moment, an dem er ihr die Dose überreicht hatte, nicht mehr erinnern konnte. Was sie aber ganz sicher wusste, war, dass sie ab diesem Zeitpunkt ihr erstes Taschengeld bekommen hatte. Zunächst waren es fünf Solid im Monat gewesen. Eigentlich zehn, denn ihr Vater hatte ihr immer zwei Scheine gegeben. „Einen in die Tasche und einen in die Dose“, hatte er gesagt, und zwar jedes Mal, einmal im Monat über zehn Jahre hinweg. Später bekam sie zwanzig, dann dreißig Solid. Zwischendurch hatte sie die Dose ein paar Mal geöffnet, um sich etwas kaufen zu können, sodass sie nicht sicher sagen konnte, wie viel sich noch darin befand. Es hatte ihr Spaß gemacht, zu sparen. Und sie erinnerte sich an ihre Freude, wenn ihr Vater am Ende eines Monats – immer nach dem Abendessen – den Geldbeutel auf den Tisch gelegt hatte. Wie gern wäre ich einfach wieder so wie früher, dachte sie, als auf einmal ein leises Klopfen an ihre Ohren drang. War das ein Vogel, der auf einem der Holzbalken des Daches saß? Als es noch mal zu hören war, war sie sicher, dass es von der Zimmertür kam.
„Darf ich reinkommen?“
Es war ihre Mutter, deren Stimme dumpf durch die geschlossene Holztür drang.
„Ja“, antwortete Katrina und runzelte die Stirn.
Die Tür ging auf, ihre Mutter trat herein und knipste das Licht an.
Katrina kniff die Augen zusammen, beschwerte sich aber nicht. Was will sie denn von mir?, fragte sie sich, als ihre Mutter die Tür hinter sich schloss und auf der rechten Betthälfte Platz nahm.
Sie schaute auf Katrina herab, die ihren Blick kurz erwiderte, dann aber wieder die Zimmerdecke anstarrte.
„Geht es dir gut?“, fragte ihre Mutter und streichelte über Katrinas Oberschenkel.
„Ja, geht schon.“
„Du vermisst Papa. Und Oma. Richtig?“
Ihre Mutter hielt kurz inne, als würde sie auf eine Antwort warten.
„Ja.“
„Ich auch.“
Für einen Moment schwiegen beide.
„Glaubst du, Papa taucht vielleicht doch noch auf? Irgendwann?“
Ihre Mutter schüttelte den Kopf.
„Nein, das glaube ich nicht.“
Katrina wusste, wie oft Menschen in diesem Land spurlos verschwanden und nie wieder auftauchten. Aber wenn es in der eigenen Familie passierte, war die Hoffnung immer da, solange man keine Gewissheit hatte. Ihre Mutter musste das doch auch so empfinden, aber vielleicht wollte sie das, aus welchem Grund auch immer, nicht zugeben.
„Glaubst du, eines der dunklen Völker ist daran schuld? Vielleicht ist Papa ja zu einem …“
„Denk nicht mal daran, Katrina! Das wäre schlimmer als der Tod. Ich bete jede Nacht für seine Seele, und das solltest du auch tun“, erklärte ihre Mutter, schloss die Augen und bekreuzigte sich. „Der gütige Allvater soll ihm Kraft geben. Und falls er wirklich gestorben ist, soll seine Seele in der Anderswelt Frieden finden.“
Sie atmete deutlich hörbar aus und öffnete wieder die Augen, um auf den Boden zu starren.
„In Hellmark wäre das nicht passiert“, flüsterte Katrina und wünschte sich im gleichen Moment, es nicht ausgesprochen zu haben. Nachdem Opa vor sechs Jahren gestorben war, hatte ihre Mutter ihre Oma unbedingt auf dem Bauernhof unterstützen wollen. Vor allem, weil es Opa gewesen war, der ihn einst mit eigenen Händen erbaut und bewirtschaftet hatte. Um diesen Familienbesitz zu bewahren und dank des Bauernhofs leben zu können, hatte ihre Mutter sogar den Töpferladen in Hellmark aufgegeben, der seit neunzehn Jahren ihr gehörte. Sie liebte das Töpfern.
Und jetzt? Jetzt verfluchte sie sich bestimmt selbst für ihre Entscheidung und auch dafür, Papa und Katrina da mit reingezogen zu haben, ohne dass Katrina mit solchen Kommentaren auch noch Öl ins Feuer goss.
„Du weißt, dass ich dich nicht aus deiner Heimat zerren wollte, aber … du verstehst doch, dass ich Oma nicht alleine lassen konnte, oder?“
Katrinas Herz schlug schneller. Sie nickte und presste die Lippen aufeinander. Dabei konnte sie den Blick ihrer Mutter nicht erwidern.„Können wir nicht zurück?“, flüsterte Katrina.
„Nein, das können wir nicht.“
Katrina dachte an ihren Onkel. Nach Omas Tod war er den weiten Weg aus Hellmark mit dem Zug gekommen, um ein paar Tage bei ihnen zu bleiben. Er und Katrina hatten sich unterhalten, auch über frühere Zeiten, in denen sie gemeinsam im Laden unter ihrer Wohnung das Schweißen geübt, Radios auseinandergebaut und Funkgeräte repariert hatten.
„Onkel Alaric meinte bei seinem Besuch, er wird sich bald eine Hilfskraft suchen müssen. Ich … Wir könnten zurück nach Hellmark gehen und …“
„Nein, Katrina. Das können wir nicht“, unterbrach ihre Mutter sie mit leiser Stimme, aber entschlossenem Tonfall.
„Aber ich kann bei ihm im Laden Geld verdienen, dann …“
„Wir sind jetzt für diesen Bauernhof verantwortlich“, erklärte ihre Mutter mit etwas lauterer Stimme und strengem Blick. „Er ist unser Erbe. Wir müssen ihn pflegen und am Leben halten.“
Sie schien nicht daran zu denken, dass Katrina es war, die das seit mehreren Wochen tat, und zwar allein.
„Unter uns Reichenlicht-Frauen gab es schon immer den stummen Pakt, zusammenzuhalten und in schweren Stunden füreinander da zu sein. Du weißt selbst, welch dunklen Kräfte nach unser aller Seelen greifen. Was bleibt uns anderes übrig als das tiefe Vertrauen in die Familie und den gütigen Allvater?“
Sie legte eine Hand auf Katrinas Bauch. Diese zog einen Arm unter dem Kopf hervor und ergriff sie. Ihre Mutter streichelte Katrinas Fingerknöchel mit dem Daumen.
„Soldaten auf dem Schlachtfeld haben Waffen, Katrina. Wir einfache Menschen haben nur uns“, sagte sie, ließ ihre Hand wieder los und zog den silbernen Ring von ihrem Finger. Dann drehte sie ihn zwischen Daumen und Zeigefinger im Licht der Deckenlampe hin und her, als ob sie etwas darauf suchen würde.
„Kannst du die Gravur im Inneren erkennen?“, fragte sie.
Katrina richtete sich auf und rutschte näher. Sie nahm den Ring in die Hand und drehte ihn, bis sie eine kleine, geschwungene Schrift auf der Innenseite lesen konnte.
„Immer zusammen, niemals alleine“, flüsterte sie leise.
„Dein Vater hat das bei einem der teuersten Schmuckhändler in Nebelbann eingravieren lassen. Dieses Versprechen gilt für unsere gesamte Familie bis über den Tod hinaus“, erklärte ihre Mutter, schob den Ring wieder auf ihren Finger und rutschte näher an Katrina heran, um sie fest an sich zu drücken.
„Ich liebe dich über alles, und ich hoffe, das weißt du!“
Katrina war zuerst überrascht, drückte ihre Mutter dann aber ebenso fest und legte den Kopf auf ihre Schulter.
„Ich dich auch, Mama!“
„Keines dieser dunklen Monster darf unsere Familie jemals entzweien!“
„Niemals“, flüsterte Katrina, dachte noch einmal an die Gravur des Ringes und hoffte, dass sich ihre Mutter an diesen stummen Pakt noch erinnern würde, wenn kein Wasser in ihrem Glas war, sondern wieder einmal hochprozentiger Schnaps.

♥ Ende der Leseprobe ♥
Blut gegen Blut gibt es als:

► Hardcover: http://tinyurl.com/jbb6qoc
► Kindle-Ebook/Taschenbuch: http://bit.ly/BlutGegenBlutKindle
► Thalia: http://tinyurl.com/jytld3v
► iTunes: https://itunes.apple.com/de/book/blut-gegen-blut/id1079325788?mt=11

 

 

 

FacebooktwitterlinkedinmailFacebooktwitterlinkedinmail

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.